GELI HÄUSL

(INTERVIEW + INDOOR FOTOS VON: JULIA KOCH)

Geli Häusl ist auf einem kleinen Bauernhof auf der Tiroler Seite des Arlbergs aufgewachsen und hat in St. Anton die Atmosphäre des Winterskisports kennengelernt, die sie in den Bann gezogen hat. Erst im Alter von zwanzig Jahren hat sie intensiv mit dem Skifahren abseits der Pisten begonnen. Es folgten weltweite Freeride Wettbewerbe und die Ausbildung zur staatlich geprüften Skilehrerin und Skiführerin. Sowohl der Wettkampf als auch die Abenteuerlust haben Geli von Neuseeland über Tibet, Nepal, Iran, Grönland und Alaska bis nach Argentinien gebracht. Nach wie vor lebt sie in dem kleinen Ort, in dem sie aufgewachsen ist – heute mit Mann und Tochter – und startet von hier aus immer wieder in ein neues Abenteuer.

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"Wenn du schnell gehen willst, geh alleine. Wenn du weit kommen willst, geh gemeinsam."

WELCHE BILDER DEINER KINDHEIT AM BERG SIND DIR AM EINPRÄGSAMSTEN GEBLIEBEN?

Ich bin hier in einem Bergdorf auf einem kleinen Bauernhof mit drei Brüdern groß geworden, von denen ich unter anderem auch die Ellbogentechnik gelernt habe. Wir haben sehr bodenständig und naturverbunden gelebt, weil wir auf die Natur angewiesen waren. Wir hatten nur eine Kuh und zwei Schweine, vielleicht mal ein Kälbchen – eine ganz kleine Landwirtschaft also. Sehr idyllisch aus heutiger Perspektive.

HAST DU ALS KIND SCHON MIT DEM SKIFAHREN ANGEFANGEN?

Nein, meine Eltern waren beide keine Skifahrer. Von zuhause war das also nicht gegeben. Ich hab zwar mit sechs Jahren immer wieder mal eine Piste hinter dem Haus angetreten und bin den Hügel runtergedüst, aber es war wesentlich mehr Aufwand, mit den Skiern hinaufzutreten, als dann runterzufahren. Als Kind war ich vielleicht ein, zwei Mal im Jahr in St. Anton Skifahren, aber nicht öfter. Da bin ich dann halt meinen Brüdern irgendwie den Berg runter nachgeschossen. Ich habe sehr spät erst richtig mit dem Skifahren angefangen.

WAS HEIßT SPÄT?

Ich habe mit fünfzehn eine Lehre zur Frisörin gemacht. Ich wollt eigenständig mein Geld verdienen. In einer Familie mit vier Kindern ist das natürlich ein wichtiger Punkt. In der Zeit bin ich nie auf den Skiern gestanden. Erst mit zwanzig etwa, als ich meinen ersten Job bei einem Frisör in St. Anton angetreten habe, bin ich auch auf die Piste. Da hab ich zum ersten Mal die Stimmung und den Vibe in diesem Ort miterlebt – die ganze Welt ist nach St. Anton gekommen, um Ski zu fahren. Ich habe viele Leute kennengelernt, die für eine Saison hierherkamen – als Tellerwäscher oder in anderen Jobs gearbeitet haben, um sich das Skifahren hier leisten zu können – und mit diesen sogenannten „Skibums“ war ich dann viel am Berg unterwegs. Ich habe den ganzen Winter lang nur noch englisch geredet, mir einen Job als Garderobiere in einer Bar gesucht, nachts gearbeitet und den Tag am Berg verbracht. So hab ich das Skifahren gelernt, und recht schnell dann beschlossen, die Prüfung zum staatlichen Skilehrer und Skiführer zu machen. So wurde meine Leidenschaft zum Beruf.

DEINE BEIDEN BERUFE SIND SEHR UNTERSCHIEDLICH…

Das Frisörinnenleben war nicht schlecht – man ist oft nicht nur für’s Haareschneiden zuständig, sondern auch für die Psyche; außerdem ist es ein kreativer Beruf – aber für mich war es doch Arbeit jeden Tag. Erst als ich das Skifahren zum Beruf gemacht habe, hat sich die Arbeit nicht mehr nach Arbeit angefühlt. Ich habe mir gedacht, das kann schon mal nicht falsch sein. Und heute bin ich selbständig und habe meine Ein-Frau-Skischule.

WOBEI – IN DER ZWISCHENZEIT IST JA NOCH RECHT VIEL PASSIERT. DU BIST SEIT DAMALS UNHEIMLICH VIELE RENNEN UND TOUREN GEFAHREN UND HAST EINIGE STOCKERLPLÄTZE ERRUNGEN. WELCHES SIND DIR DENN DIE WICHTIGSTEN ERFOLGE IN DIESEM BEREICH?

Ganz sicher das Rennen in Neuseeland 2003, das ich gewonnen habe. Die Freeride Worldtour gibt es ja erst seit 2008 in dieser Form und in diesem Ausmaß, wie sie heute stattfindet. Davor gab es verschiedene einzelne Rennen in Frankreich, Schweden, anderen europäischen und amerikanischen Staaten, die ich auch mitgefahren bin. Und eben dann in Neuseeland, wo ich im Sommer 2003 als Skilehrerin gearbeitet habe. Ich bin alle Rennen in der Zeit mitgefahren, die für damalige Verhältnisse ein recht großes Starterfeld hatten. Es sind sehr viele coole und gute Fahrerinnen dabei gewesen. Dort zu gewinnen, war ein besonderer Erfolg für mich.

 

"Erst als ich das Skifahren zum Beruf gemacht habe, hat sich die Arbeit nicht mehr nach Arbeit angefühlt."

 

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WELCHE DEINER PERSÖNLICHEN QUALITÄTEN MACHEN DICH DENN ZUR SPORTLERIN, DIE DU BIST?

Schon auch mein Ehrgeiz, aber hauptsächlich hat mir der Weg einfach unheimlich Spaß gemacht. Und vielleicht hat auch die Tatsache, dass ich ein Leben als Frisörin ebenfalls gekannt habe, beigetragen. Ich konnte dadurch die Freiheit beim Skifahren sehr wertschätzen. Außerdem muss man auf Leute zugehen können. Man muss sich das Skifahren ja auch finanzieren, also braucht man Sponsoren, und die muss man aufstellen. Ich denke, ich war sehr offen und hatte keine Scheu davor, einfach mal zu fragen. In weiterer Linie geht es auch darum, Projekte zu organisieren und umzusetzen, Dinge auszuprobieren, die man vorher noch nicht gemacht hat, experimentierfreudig zu sein und sich auf Abenteuer einzulassen.

DAS REISEN NIMMT IN DEINEM BISHERIGEN LEBENSLAUF EINEN GROßEN PLATZ EIN. GIBT ES EIN ABENTEUER, AN DAS DU BESONDERS GERNE ZURÜCKDENKST?

Jede Reise war ein Abenteuer und hinterlässt schöne Erinnerungen. Ich hatte im Winter oft zwei, drei Jobs, damit ich dann von Mai bis November unterwegs sein konnte. Das war mir immer wichtig. Skiexpeditionen in Argentinien und Alaska beispielsweise. Ein anderes Mal war ich Teil einer Supportcrew bei einer Kletterexpedition in Grönland, bei der ich schlussendlich zweitweise alleine auf einem Boot unterwegs war und auch Stürme mit Sturmstärke 10 miterlebt habe. Da hab ich mir dann – zwischen Eisbergen manövrierend – schon manchmal gedacht, jetzt geht’s nicht mehr weiter. Und dann wieder war ich im Himalayagebirge, wo ich drei Monate im Basecamp verbracht habe, weil ich es mir nicht leisten konnte, auf den Gipfel zu gehen. So habe ich viele verschiedene Abenteuer erlebt, in die ich immer mit Offenheit gestartet bin. Eine gewisse Vorbereitung braucht natürlich jede Reise, aber innerhalb dieser Struktur bevorzuge ich immer die Freiheit und die Erfahrungen des Ungeplanten.

WAS HAT ES MIT „HEADSCARF VS. BEANIE“ AUF SICH?

Ein Filmprojekt, das 2008 im Iran entstanden ist. Ich bin mit zwei Kolleginnen, Eva Walkner und Tine Huber, und einem Guide unterwegs gewesen. Es ging uns darum, zu erfahren, wie wir als weibliche Sportlerinnen in dieser von unserer Kultur sehr verschiedenen Kultur aufgenommen werden. Am meisten fiel mir die Trennung von Männern und Frauen in diversen Bereichen auf – es gibt unterschiedliche Eingänge und Einstiege in Busse für Frauen und Männer, abgetrennte Strandbereiche usw. Zumindest vor zehn Jahren war das noch sehr stark so. Das ist zum Beispiel etwas, was mir im Vorfeld nicht ganz so bewusst gewesen war und mich doch überrascht hat. Ich hab die Rollenaufteilung zwischen Mann und Frau dort sehr viel strikter wahrgenommen, als das, was unserer Gewohnheit entspricht. Das ist eben das Spannenende am Reisen – man lernt Neues und Anderes kennen.

WAS ALL DEINEN REISEN GEMEIN ZU SEIN SCHEINT, IST ALLERDINGS DIE NATUR. DU BIST IMMER AKTIV IN DER NATUR UNTERWEGS…

Ja, das stimmt. Städtereisen mach ich maximal ein Wochenende lang. Es ist schon die Natur, in der ich mich zuhause fühle. Außerdem hab ich es gerne, wenn ich einen Auftrag habe: Skifahren, Wandern, Biken, Klettern… nicht nur leistungsbezogenes Sporteln, sondern auch einfach als Freizeitgestaltung. Mir wird sonst schnell langweilig. Seit unsere Tochter Jana auf die Welt gekommen ist, ist es zwar ein wenig ruhiger geworden, aber wir reisen immer noch – jetzt eben zu dritt. Jana hat dieselbe Begeisterung dafür und ist sportlich sehr aktiv.

DU BIST AUCH IM SOMMER IN DEN BERGEN, NICHT NUR WENN SCHNEE LIEGT. GENIEßT DU DAS AUCH?

Der Winter ist schon noch mehr Meins. Meinetwegen darf es gerne ein halbes Jahr lang Winter sein, aber dann bin ich doch auch froh über die Abwechslung. Dadurch kann man den Schnee dann auch wieder mehr schätzen. Außerdem mag ich den Sommer ja auch. Im Sommer begleite ich recht viele Frauengruppen auf Hüttentouren. Das hat dadurch angefangen, dass Freundinnen mich gebeten haben, etwas Derartiges mit ihnen zu machen, und später hab ich das dann auch für Andere angeboten. Das Schöne am sommerlichen Wandern ist, dass es viel langsamer ist als das Skifahren. Es entschleunigt und so kann man sich zum Beispiel besser unterhalten und einander kennenlernen. Da entstehen immer wieder schöne Begegnungen. Auch hier biete ich, wie ebenfalls im Winter, sowohl Männer- als auch Frauengruppen Führungen und entdecke Unterschiede. Männer starten meist viel schneller los und sind ungeduldig, wenn ich zu einem langsameren Tempo auffordere. Aber hinterher sind sie mir immer sehr dankbar.

HÄLTST DU ES FÜR WICHTIG, DASS DAS FRAUENBILD IM SPORT NOCH WEITERENTWICKELT WIRD?

Ich bin hier in St. Anton eine der ersten Skiführerinnen gewesen, die dann den Beruf auch ausgeführt haben. Damals war das noch kein übliches Bild, dass eine Frau Skiführerin ist. Da hat sich ja in den letzten zwanzig Jahren schon sehr viel verändert. Meine Tochter geht Trampolin hüpfen und macht auch sonst alles, was die Burschen tun. Es gibt gemischte Fußballmannschaften bis zu einem gewissen Alter - das wär ja in meiner Kindheit noch gar nicht möglich gewesen, wir hätten ja gar nicht mitspielen dürfen bei den Buben. Es hat sich also, wie gesagt, schon viel getan, aber wir dürfen mit dieser Entwicklung jetzt natürlich nicht aufhören.

"Es gehören aber auch die Männer dazu. Die müssen natürlich ebenso an dieser Entwicklung teilhaben. Ohne meinen Mann und seine Einstellung könnte unsere Tochter nicht so aufwachsen, wie sie es tut."

 

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BIST DU IN DEINER BISHERIGEN LAUFBAHN SCHON MAL ÜBER DAS THEMA DES SPEZIFISCH WEIBLICHEN LERNUMFELDS IM SPORT (ODER AUCH IN ANDEREN LEBENSBEREICHEN) GESTOLPERT?

Ich glaube, dadurch, dass ich mit drei Brüdern aufgewachsen bin, war ich das männliche Lernumfeld einfach gewohnt. Mich hat das nie gestört oder gehindert. Es ist eher so, dass ich jetzt in den Gruppen, die ich guide, sehen kann, was es für einen Unterschied macht.

UND WAS IST DAS? WAS SIND DEINE ERFAHRUNGEN MIT ALL-FEMALE SPORTGRUPPEN?

Meine Erfahrung mit Skicamps oder auch mit der Yogaveranstaltung, die jedes Jahr hier in St. Anton stattfindet, wo nur oder hauptsächlich Frauen teilnehmen, ist, dass es sich entspannt anfühlt. Ich habe ja als Guide viele Jahre lang fast ausschließlich Männergruppen durch die Berge geführt. Die Frauen waren oft mit den Kindern unterwegs und die Männer haben sich in der Gruppe einen Guide genommen und sind ungestört Skifahren gegangen. Es ist noch nicht lange her, dass ich zum ersten Mal eine Frauengruppe geleitet hab. Und das war auch für mich eine neue Erfahrung. Ich weiß noch genau, wie wir einen Hang runtergefahren sind und unten angekommen, eine Frau den Fahrstil der anderen korrigiert hat. Ich habe gleich alle Sensoren ausgefahren und bin nervös geworden, weil ich mir eine Auseinandersetzung erwartet habe. Aber die andere Frau hat den Ratschlag zur Verbesserung sofort angenommen und danach gesagt: "Cool, danke, dass du mich darauf hingewiesen hast. Jetzt läuft das viel besser." Das wäre zwischen Männern anders abgelaufen. Unter Männern ist öfter noch Thema, dass das Gesicht gewahrt werden muss. Es war auch für viele Männer nicht ganz einfach, von mir – einer Frau – Verbesserungsvorschläge anzunehmen. Ich musste immer zuerst eine Abfahrt runterbrettern und zeigen, was ich kann, um ernst genommen zu werden. Ich musste mich vor Männergruppen meist erst beweisen. Das hat sich in den letzten Jahren auch sehr verändert. Inzwischen nehmen auch Männer uns weiblichen Sportlerinnen schon sehr anders wahr. Ursprünglich war es auch eher so, dass Frauen tendenziell mehr auf Gefühle wie Ängste eingingen, was unter den Männern nie kommuniziert wurde. Da haben sich die Männer aber auch schon verändert. Ich glaube, sie lernen auch von uns Frauen.

WAS MÖCHTEST DU SELBST ALS VORBILD KOMMENDEN EXPLORISTAS MITGEBEN KÖNNEN?

Ich halte es für absolut wichtig, dass man seinen Träumen nachgeht und versucht, diese zu verwirklichen. Es geht so viel mehr, als das, was man oft glaubt, wenn es mal schwierig wird. Ich zum Beispiel habe mich etwas vor der staatlichen Skilehrerprüfung gefürchtet. Damals haben wir Frauen uns dann gegenseitig unterstützt, haben uns beim Material ausgeholfen und dergleichen. Die Sandra Lahnsteiner hat zur selben Zeit wie ich den Staatlichen (Skilehrer und Skiführer) gemacht. Ich kann mich erinnern, dass sie mir noch irgendein Pulverl auf die Skier gegeben hat – das war sicher auch nicht schlecht. (lacht) Und ich habe Anderen eher beim Geländefahren helfen können. Die gegenseitige Unterstützung hilft also sehr!

HAST DU EIN MOTTO, DAS DU MIT UNS TEILEN WÜRDEST?

Wenn du schnell gehen willst, geh alleine. Wenn du weit kommen willst, geh gemeinsam. Ich weiß nicht mehr, wer das gesagt hat, aber diese Aussage hat mich berührt und drückt meine Philosophie treffend aus.